| „Saatfrüchte dürfen nicht zermahlen werden" von Kurt Wolfgang Ringel Liebe Leserinnen, liebe Leser, „Saatfrüchte dürfen nicht zermahlen werden.“ [1]   Mit dieser Lithografie beendete Käthe Kollwitz  1942 ihr Lebenswerk. Am  22. April 1945 starb die  Künstlerin, die bis 1933 Mitglied der  Preußischen Akademie war, in Moritzburg bei Dresden. Und die Warnung  dieser  Frau soll über dem Thema dieser Woche stehen.
 Sie merken schon, mit den Saatfrüchten sind unsere  Kinder gemeint. Ich möchte an dieser Stelle keine  Presseschau   vornehmen. Das ist  nicht erforderlich, weil  die meisten Leser   durch die Vielfalt der Medien  mehr oder weniger mit den   Problemen  vertraut sind. Nur ein paar kurze Anmerkungen möchte ich   zu dem Thema machen.
 
 „Walter Mixa (68) führt den sexuellen Kindesmissbrauch  an katholischen Einrichtungen auch auf die Sexualisierung der Öffentlichkeit  zurück. Der Augsburger Bischof sagte in einem Interview mit der „Augsburger  Allgemeinen”: „Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von  besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellen  Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist daran  sicher nicht unschuldig.” [2]   Der Bischof  verletzt hier vorsätzlich das achte Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis geben  wider deinen Nächsten.
 
 Diese  Aussage  ist ein bewusst  verfälschter  Mixa-Mix. Für wie dumm  hält dieser Kirchenfürst   die Menschen? Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter, wo solche   unsinnigen Schnurren von Berufschristen noch reißenden Absatz fanden. Der Logik  des Herrn Mixa zufolge können zum Beispiel die Politiker die Falschberechnung  der Hartz-IV-Bezüge  mit der Ausbreitung der Mathematik begründen. Wer  solchen Unsinn, wie den von Herrn Mixa, für bare Münze nimmt, der ist selber  dran schuld.
 
 Eugen Drewermann macht die katholische Kirche und ihre  Strukturen für den Missbrauchsskandal durch Geistliche mitverantwortlich. Der  katholische Theologe und Kirchenkritiker sagte: „Der kardinale Fehler der  katholischen Kirche besteht darin, ihre Kleriker zu nötigen, zwischen der Liebe  zu Gott und der Liebe zum Menschen alternativisch zu wählen. Das ist gerichtet  gegen ein zentrales Anliegen der Botschaft Jesu und gegen elementare  Bedürfnisse der Menschen.” [3]
 
 Wie verhält es sich in Wirklichkeit mit der Aufklärung,  die sexuelle eingeschlossen? Das Gegenteil ist doch der Fall. Aufklärung ist  auch hier die dringendste Pflicht. Aufgeklärte Menschen sind nicht so leicht zu  verführen. Heute sind Kinder doch aufgeklärter  als noch vor 20, 30  Jahren. Wer z.B. Jugendweiheveranstaltungen  über einen längeren Zeitraum  durchführt, der  kann entsprechende Erfahrungen sammeln.
 
 Hier ist die gesamte Gesellschaft gefordert, und  besonders  alle Menschen, denen Verantwortung, denen Rechte und  Pflichten  für Schutzbefohlene übertragen wurden. Besonders dieser  Personenkreis ist gefährdet, solche Taten zu begehen. Notwendig ist eine   permanente Kontrollpflicht vor Ort, um  solche Vergehen sofort ahnden zu  können. Und die Kontrollpflicht staatlicher Organe, unangemeldete Kontrollen  vor Ort, besondere  Aufsichtspflicht durch Eltern  und elternähnliche  Personen des Kindes verstehe ich darunter. -
 Und es sind ja nicht nur Kleinkinder die missbraucht  wurden, auch  ältere Kinder und Jugendliche sind davon betroffen.
 
 Wie kann den Kindern und Jugendlichen geholfen  werden?  Sie müssen innerlich, d. h. charakterlich  stark   gemacht werden. Wichtig ist eine  spezielle Erziehung der Kinder,  analog  der Aufklärung,  wie sie  bei Schulkindern schon  seit  Jahren  praktiziert wird.  Dazu gehört, in kein  Auto  einzusteigen, nicht mit fremden Personen mit zugehen. Etwas schwieriger ist es  in Internaten und Heimen schon. Das Verhalten von Kindern kann auch hier  trainiert werden. Ein gesundes Misstrauen, auch  bekannten Personen  gegenüber kann nicht falsch sein. Die Kinder müssen  unterscheiden lernen,  was  notwendiger  Tagesablauf  ist und was nicht dazu gehört.  Notwendig ist auch das Trainieren von Abwehrverhalten und  Abwehrreaktionen  bei den Kindern.  Die  Jugendlichen müssen  lernen, welches  Anzeichen für  einen Missbrauch sein können. Und die  Kinder müssen  befähigt werden, sich ihren Eltern bzw. auch anderen   Vertrauenspersonen unverzüglich anzuvertrauen.  Und - aufgeklärte  Menschen, auch Kinder und Jugendliche, sind nicht so leicht zu verführen wie  unaufgeklärte und auch nicht so leicht  zu missbrauchen!
 
 Zu dem  Verhalten der Kirchen  ist folgendes  zu sagen: „Eine Entschuldigung der Kirchen, ob evangelisch oder katholisch, ist  O.K. Aber die Frechheit zu besitzen und versuchen Geld einzuklagen, ist schon  mehr als dreist. Fast alle Jahrgänge zwischen 1945 und 1960 waren in der  Kinderverschickung. Es war auch eine physische Belastung.
 
 Sollen wir auch klagen? Wer ist der Nächste, der Geld  einklagt?  Wir Deutsche haben doch so viel davon, also weg mit dem Geld.  Aber solange die Gier das Leben bestimmt, hört das nie  auf.“ [4] Hier  meine Antwort auf die Zeilen des Lesers der Braunschweiger Zeitung: Der Leser  ist mit seiner Meinung auf dem Holzweg. Er bezeichnet  es als eine  Frechheit, Geld einzuklagen. Er scheint nichts zu verstehen oder er  ist  kirchlich vorbelastet. Auf keinen Fall versteht der Leser, worum es den  betroffenen Menschen geht. Und weil es so ist, sollte er sich mit seiner  Meinung bitteschön zurückhalten.
 
 Bei Geldforderungen geht es nicht um Gier der  betroffenen Menschen, sondern  um  ein Schmerzensgeld. Wie viele  Menschen haben durch kirchliche Dogmen zeitlich begrenzte oder dauerhafte   gesundheitliche Schäden davon getragen, wie z. B. Neurosen.  Deshalb ist  es doch mehr als billig, das die Kirchen als Schadensverursacher wenigstens   einen  kleinen Beitrag   als  Wiedergutmachung leisten  und  zahlen!
 
 Für jeden  Verbrecher, besonders denen, die sich  an  Kindern vergreifen,  wünschen  die Bürger sehr  harte  Strafen.  Warum sollen die Kirchen bei ähnlich schlimmen Vergehen mit  Straffreiheit davon kommen? Ich finde die Forderung des Lesers  als völlig  ungerecht. Die Kirchen  sind doch  nichts Besseres als der Rest des  Volkes. Und trotzdem haben die Kirchen noch heute viele ungerechtfertigte  Privilegien und finanzielle Vergünstigungen!
 
 Sollen sich die Kirchen weiter ungestraft am Volke  vergreifen dürfen? Dann ist es nur  zu verständlich, dass die Zahl der  Menschen, die die Kirchen verlassen, permanent wächst, und dies allen  gegenteiligen Behauptungen zum Trotz!
 
 Geld für erlittenes Unrecht einzufordern ist nicht  dreist: Dreist sind  z. B. Banker, Manager und Politiker, Leute wie Herr  Ackermann, Herr Hundt. Auch Kirchenfürsten zählen dazu!
 
 Noch  etwas zu der Aussage des Lesers, das   alle  Deutschen  viel Geld hätten. Dies ist eine unverschämte Lüge.  Die Anzahl der Menschen mit immer weniger Geld nimmt in Deutschland rasant zu.  Nach dem Kriterium des Lesers dürften sich alle diese Menschen   zu  den Deutschen zählen. Seinen Leserbrief scheint wohl im Wolkenkuckucksheim  geschrieben worden sein.
 
 Abschuss dieses Beitrages soll der Artikel „Kirche  soll von Opfern lernen“  sein, weil er  Resümee  und  Fazit  in einem ist: „Nach der Aufdeckung von Missbrauchsfällen in katholischen  Einrichtungen wünscht sich der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus  Mertes, eine intensivere Auseinandersetzung mit der Rolle der Kirche. »Der  Blick bloß auf die Missbrauchstäter im engeren Sinne ist zu kurz, um den  Missbrauch zu begreifen«, schrieb Mertes in einem Pressebeitrag. Die Kirche  müsse zudem bereit sein, aus den Erfahrungen der Opfer zu lernen.
 
 Die missbrauchten Menschen seien nicht nur Opfer im  Sinne wehrloser Objekte von Gewalt. Sie seien auch »Geopferte«, weil ihre  Geschichte »die Ehe der Eltern, das Ansehen der Institution, den Frieden der  Gemeinde gefährdet«, schrieb Mertes. Weil das Opfer mit seiner Erfahrung das  System gefährde, in dem es lebt, müsse es nach dieser Logik »zum Schweigen  gebracht werden«.
 
 Diese Opferung sei die Fortsetzung des Missbrauchs.  »Gewalt gegen Schutzbefohlene, gerade auch in ihrer besonders schlimmen Form  der sexualisierten Gewalt, wird in dem Moment zu struktureller Gewalt, wo die  zum System Gehörigen die Ohren verschließen vor der Stimme des Opfers. Dass  dies vielerorts geschehen ist, wurde in den letzten beiden stürmischen Monaten  auf erschreckende Weise deutlich.«
 
 Es gelte nun, die Missbrauchsopfer als Subjekte zu  begreifen: »Sie haben im Überlebenskampf Erfahrungen mit der Kirche, mit der  Hierarchie« und verschiedenen Formen von Pädagogik gemacht. Der Dialog mit  ihnen sei eine Gelegenheit zu lernen – für Kirche, für Schul- und  Internatspädagogik, für Recht und Politik.“ [5]
 
             
 QUELLEN: [1] Lithografie von Käthe Kollwitz, 1942 [2]  MENSCHEN (Pressestimmen) in   Braunschweiger Zeitung vom  17. Februar 2010
 [3] Ebenda
 [4]  Peter Pracht, Baddeckenstedt, Braunschweiger  Zeitung vom 10. Oktober 2009 */
 [5] Kirche soll von Opfern lernen, in :Neues  Deutschland vom 06. April 2010 */
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